Mein kleiner Positiver Kontaktmoment in Coronazeiten
Suchend reagieren – als Retter in der Not:

Unsere Seniorin Frau Lieblich (Name geändert) gilt als sehr auffordernde, psychisch belastete Person, die bei jeder pflegerischer Unterstützung durch die Kolleginnen und Kollegin meist sehr unvermutet beisst, kratzt und zwickt. Pflegerische Hilfen benötigt sie am Tag sehr viele…
Sie kann das Bett nicht mehr verlassen, benötigt bei allen Verrichtungen die Hilfe des Personals. Gespräche lehnt sie ab und reagiert fast immer sehr aufgebracht und zornig auf jegliche körpernahen Kontakte.

Heute wurde ich zur Einzelbetreuung bei ihr eingeteilt! Eigentlich ja eine tolle Sache, die mir liegt und viel Freude macht. Gerade in Corona-Zeiten haben wir für Einzelbetreuungen auch viel mehr Zeit!
Aber Einzelbetreuung bei einer Seniorin, die ich kaum kenne und die als sehr auffordernd geschildert wird! Na, da bin ich aber mal gespannt. „Vielleicht kannst du ein wenig mit basaler Stimulation auf sie eingehen“, so mein Auftrag für heute Vormittag. Eine Vorstellung, die mir nach den bisherigen Berichten doch ein paar Schweißperlen auf die Stirn trieb.

Ich gehe also mit Respekt und Vorsicht ins Zimmer von Frau Lieblich und überlege wie ich mit ihr am besten in einen „unbeschadeten“ Kontakt kommen kann. Ich weiß nur, dass basale Stimulation hier nicht mein Thema ist. Schließlich ist Sommer und dann mit zerkratzten Unterarmen rumlaufen ist vielleicht nicht so das Wahre.

Ich komme also zu ihr und setze mich zu ihr ans Bett, begrüße Sie freundlich und erzähle ihr, dass ich heute ein wenig Zeit für Sie habe.
Sie reagiert nicht darauf.

So versuche ich es einfach mal mit Singen (hat bisher wohl niemand gemacht). Mir fällt spontan nur das Kirchenlied „Großer Gott, wir loben dich“ ein, vielleicht auch aus der heimlichen Sorge, dass ich auch ja wieder heil aus der Situation herauskomme und nicht wie viele meiner Kolleginnen mit Kratzwunden das Zimmer verlassen muss.

Zu meiner großen Überraschung und Freude setzt Frau Lieblich zuerst zögerlich ein, um dann nach und nach immer kräftiger mitzusingen. Ich bin so überrascht, dass ich fast nicht mehr weitersingen kann, da es bisher immer hieß, sie habe keinen Bezug zu religiösen Themen.
Wir singen alle Strophen des Liedes. Und wer es kennt, weiß: es hat nicht nur 2 oder 3!
Damit nicht genug. Ich sehe, wie Frau Lieblich sich entspannt und ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielt. Beim nächsten Kirchenlied singt sie direkt von Anfang an kräftig mit und ich kann erkennen, wie sie sich zunehmend entspannt, ihre Gesichtszüge weicher werden und ihre Augen mich mit einem leichten Lächeln anschauen.
Das gab’s in dem ganzen Jahr, seit Frau Lieblich bei uns ist noch nie!
Es berührt mich sehr, wie sie auf mein aus meiner eigenen Not und Hilflosigkeit heraus geborenes „Kontaktangebot“ reagiert.
Nach dieser kurzen Begegnung gehe ich froh und fast beschwingt nach einer freundlichen gegenseitigen Verabschiedung aus dem Zimmer, auch um gleich meinen Kolleginnen von diesem, für uns beide so überraschend schönen Zusammensein zu berichten.
Dass meine versierten Pflegekollegen fast ungläubig über meinen Bericht und meine entsprechende Umgangsempfehlung staunen, gibt mir zusätzlich einen Schub für den weiteren Tag.

Eure Claudi
Vom Seniorenzentrum Konrad-Manopp-Stift